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"Dorferneuerung ist immer auf der Höhe der Zeit"

Europäischer Dorferneuerungspreis - Ehemaliges Jurymitglied Beatrix Drago im Interview

Beatrix Drago war viele Jahre in der Jury des Europäischen Dorferneuerungspreises.
Beatrix Drago war viele Jahre in der Jury des Europäischen Dorferneuerungspreises.
© Jeremias Kanz, Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern


1) Welchen Zweck verfolgt der Wettbewerb Europäische Dorferneuerung?
Mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis werden besonders herausragende und beispielhafte Entwicklungs- und Erneuerungsprozesse in ländlichen Gemeinden oder interkommunalen Zusammenschlüssen ausgezeichnet. Dabei müssen immer die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen berücksichtigt werden. Auch länderspezifische Standards der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Ländern Europas, ihre Besonderheiten und Möglichkeiten fließen in die Beurteilung mit ein. Prämiert werden solche Gemeinden, die mit ihren Projekten und Maßnahmen zeigen, wie trotz schwieriger Ausgangsbedingungen mit innovativen Ideen der ländliche Raum lebenswert, zukunftsfähig und krisenfest gemacht werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Unser bayerischer Preisträger 2020, das Hofheimer Land in Unterfranken, war durch die jahrzehntelange Randlage an der ehemaligen innerdeutschen Grenze geprägt. Die Folgeerscheinungen waren Abwanderung, Leerstand und der Wegfall von sozialen und sonstigen Infrastrukturen in den Ortsmitten. Die sieben sich zusammenschließenden Gemeinde erkannten schnell, dass sie diese Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Durch einen interkommunalen Zusammenschluss konnten sie einer weiteren negativen Entwicklung entgegenwirken.
2) Was sind die wichtigsten Kriterien des Wettbewerbs?
Die Beurteilungskriterien werden permanent überarbeitet und regelmäßig an sich verändernde Herausforderungen angepasst. Die Wettbewerbskriterien 2023 sind deshalb andere als die vor 20 Jahren. Zum Beispiel war das Thema Klimawandel und Energie vor 10 Jahren nicht ansatzweise so präsent in den Kriterien wie jetzt. Die Wettbewerbskriterien sind außerdem sehr vielschichtig und decken eine Vielzahl der kommunalen Handlungsfelder ab. Das sind Fragen der Siedlungsentwicklung und des Umgangs mit dem baulichen Bestand, der land- und forstwirtschaftlichen Entwicklung, des Natur- und Ressourcenschutzes bis hin zum Thema Daseinsvorsorge, Alltagsversorgung, Energie aber auch gesellschaftliche Fragen und nicht zuletzt die Förderung und Befähigung zum gesellschaftlichen Engagement. d.h. die Einbindung der Bevölkerung in die Prozesse der Dorferneuerung ist unverzichtbar.
3) Wie ist der Ablauf des Wettbewerbs?
Der übliche Ablauf des Wettbewerbs ist der Aufruf der ARGE Dorf- und Landentwicklung an die teilnehmenden Länder. Das StMELF bittet dann die bayerischen Ämter für Ländliche Entwicklung geeignete Projekte zu melden. Aus diesem Pool wird dann das Projekt ausgewählt, das Bayern im Wettbewerb vertreten soll.
Die ARGE Dorf- und Landentwicklung organisiert dann nach Einreichung aller teilnehmenden Länder die erste Jurysitzung. Anschließend erfolgen Bereisungen durch interdisziplinär besetzte Kleingruppen der Jury in alle teilnehmenden Gemeinden. In einer weiteren Jurysitzung wird dann der Sieger des Europäischen Dorferneuerungspreises ermittelt. Auszeichnungen gibt es auch für Teilnehmer in den Kategorien mit herausragender, sehr guter oder guter Leistung. Pro Land/Region wird immer nur eine Gemeinde/Region zugelassen.
Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen einer mehrtägigen Veranstaltung mit Festakt, Projektpräsentationen und Exkursionen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Dorfgemeinschaften und der europäische Erfahrungsaustausch.
4) Was bringt den Kommunen die Teilnahme am Wettbewerb?
Die Auszeichnung ist nicht mit einem Preisgeld verbunden. Dennoch hat sie viele Vorteile für die Kommunen und kommunalen Zusammenschlüsse. Zum einen erhöht sich der Bekanntheitsgrad einer Gemeinde enorm, zum anderen werden alle Teilnehmer Teil eines gut funktionierenden Netzwerks auf europäischer Ebene. Sie erhalten laufend Informationen und Einladung zu Exkursionen. Dabei ist der Austausch auch auf europäischer Ebene von enormer Bedeutung für die Gemeinden. Sie können von den Erfahrungen, dem Wissen und dem Know-how anderer Gemeinden profitieren. Voneinander lernen und Antworten auf Fragen finden, zum Beispiel wie organisiere ich eine Bürgergenossenschaft oder wie lassen sich regionale Wertschöpfungsketten aufbauen? Darüber hinaus stärkt ein solcher Preis das Selbstbewusstsein und die Eigeninitiative der Bürgerinnern und Bürger. Gleichzeitig fördert er die Identifikationen der Bevölkerung mit ihrer Gemeinde. Wenn eine Gemeinde auf der Bühne als Gewinner des Europäischen Dorferneuerungspreises vorgestellt wird, zeigt sich doch auch der ganze Stolz der Bürgerinnen und Bürger.
5) Wie groß ist das Interesse der Kommunen an einer Teilnahme?
Grundsätzlich stellen wir eine positive Reaktion fest. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wissen auch, dass sie davon profitieren. Sie wissen aber auch, dass die Teilnahme zunächst einmal mit Arbeit verbunden ist. Ein Aufwand, der sich unbedingt lohnt. Die Aufbereitung der Teilnahmeunterlagen bedeutet so etwas wie eine Evaluation. Die Gemeinden müssen sich zusammensetzen und überlegen, was sie eigentlich erreicht haben. Sie stellen sich selbst auf den Prüfstand. Dabei werden die Herausforderungen deutlicher und es wird auch sichtbar, wo korrigiert werden muss. Probleme der Gemeinden, die im Alltag oft untergehen. Insofern hat auch der Aufwand für die Teilnahmeunterlagen einen positiven Effekt. Abgesehen davon, dass man den Wettbewerb gewinnen kann mit allen damit verbunden Vorteilen.
6) Nennen Sie uns bitte einige herausragende Projekte in Oberbayern
Gewinner eines Europäischen Dorferneuerungspreises waren die Gemeinde Weyarn und der kommunale Zusammenschluss Auerbergland. Die bayerische Staatsregierung hatte die Gemeinde Weyarn als Vertreter Bayerns für diesen alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb um den Europäischen Dorferneuerungspreis 2004 vorgeschlagen. „Weyarn kann auf eine umfassende und einzigartige Dorfentwicklung verweisen, deren herausragende Stärke ein intensiver Bürgerbeteiligungsprozess ist“, hieß es u.a. in der Begründung der Jury. „Er wird begleitet von Eigeninitiative, gezielter Öffentlichkeitsarbeit und einer auf Nutzung der modernen Kommunikationstechnologien basierenden Informationspolitik, professionell gemanagter Projektentwicklung und -umsetzung sowie privaten Patenschaften zur Pflege öffentlicher Einrichtungen.“
Des Weiteren möchte ich das Auerbergland als grenzüberschreitendes Projekt erwähnen. Das Gebiet ist quasi der Pionier der interkommunalen Zusammenarbeit auch auf europäischer Ebene. Vor allem deshalb, weil die Zusammenarbeit zwischen zwei Regierungsbezirken – Schwaben und Oberbayern – erfolgt. Die Gemeinden dort stellten fest, dass Infrastruktureinrichtungen verloren gingen. Die Verantwortlichen der Region haben schnell erkannt, dass sie nur in kommunaler Zusammenarbeit die Herausforderungen der Zukunft stemmen können. Damit konnte sich das Auerbergland auch als Tourismusregion besser positionieren.
7) Nach langjähriger Erfahrung als Jurymitglied – Was ist Ihr persönliches Fazit?
Die Verwaltung für Ländliche Entwicklung und damit auch das Amt für Ländliche Entwicklung Oberbayern war immer weitblickend genug, um sich neuen Herausforderungen rechtzeitig zu stellen. Herausforderungen wie Klimawandel, Energiekrise, Pandemie, Bevölkerungsrückgang im Norden Bayerns oder Siedlungsdruck im Süden des Freistaats, um nur einige Beispiel zu nennen. Deshalb haben die bayerischen Vertreter in diesem europäischen Wettbewerb immer hervorragend abgeschnitten. Durch unsere Angebote und Hilfe, diese Herausforderungen zu bewältigen, waren wir für Kommunen und kommunale Zusammenschlüsse immer ein attraktiver Partner und wollen das auch in Zukunft bleiben. Als Verwaltung haben wir uns permanent den Herausforderungen der Zeit gestellt und tun dies auch weiterhin: Die Dorferneuerung in Bayern ist immer auf der Höhe der Zeit und deshalb so erfolgreich.

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